Was tun bei Geräuschangst?
Pfoten auf Asphalt - S2E1: Was tun bei Geräuschangst?
In der neuen Staffel haben sich Tabitha und Erich zusammengetan, um eure Fragen zu beantworten. In der ersten Folge geht’s direkt ans Eingemachte – wir sprechen über Geräuschangst, denn Silvester steht ja schon fast wieder vor der Tür.
Highlights der Folge:
Angst kann man nicht verstärken – Emotion ≠ Verhalten. Unterstützung macht Hunde nicht ängstlicher.
Management ist kein Versagen – Flughafenhotel, Auto, sichere Räume & Medikamente sind legitime Strategien.
Kleinschrittigkeit ist Profi-Verhalten – Nicht der große Trainingsschritt bringt Erfolg, sondern Mini-Reize unterhalb der Angstschwelle.
3 praktische Tipps aus der Folge
Doppelt sichern beim Silvesterspaziergang – Halsband und Geschirr nutzen, Leine optional um Hüfte als Backup.
Alltag als Trainingsfeld nutzen – Schlüssel fallen lassen, Dosen entsorgen, Glascontainer mit Abstand – je ein Geräusch = Keks.
Entspannungsdecke oder Duft vorher positiv aufladen – nur in ruhigen Momenten nutzen, danach wieder wegräumen, damit der Anker „frisch“ bleibt.
“Geht respektvoll miteinander um, egal ob Mensch oder Hund.”
Schickt uns all eure Fragen zum Thema Hund an:
pfotenaufasphalt@grossstadthund.com
Shownotes:
Quellen und Links:
Thabita fidest du hier: Better DOGether
Erich findest du hier: Grossstadthund
Buchtipp: Let’s talk about Sex! Sexualverhalten, Hormone und Kastration bei Hunden
Pfoten auf Asphalt Spotifyplaylist
Bei Fragen schickt uns ein Mail an pfotenaufasphalt@grossstadthund.com
Transkript
Erich
Hallo und herzlich willkommen bei Pfoten auf Asphalt, dem Podcast für Stadtmenschen mit Hund – und solche, die es werden wollen. Mit und von Erich Biskernig und Tabitha Hacke.
Erich
Ja, dann hallo Tabitha, schön, dass du da bist und weiter mit mir sprichst.
Tabitha
Ja hallo Erich, schön dich auch wieder zu sehen.
Erich
Magst du vielleicht nochmal ganz kurz sagen – oder vielleicht stellen wir uns einfach beide nochmal vor – was du machst, was du tust.
Tabitha
Mein Name ist Tabitha Hackel. Ich habe eine kleine Hundeschule, Beta Togetta in Oberösterreich. Ich habe mich dort sehr auf Hundesport spezialisiert – Hoopers, Treibball, Tricktraining und Beschäftigung. Ich mache aber auch normales Hundetraining, also mit Welpen oder Alltagstauglichkeit. Und in Oberösterreich nehme ich auch die ATB, diese Alltagstauglichkeitsprüfung, ab, die man da jetzt ja machen muss. Genau, das sind so meine Schwerpunkte. Und ganz generell bin ich dem Thema Hund verfallen – sonst wäre ich ja auch nicht hier.
Erich
Sehr schön. Und ich bin Erich vom Großstadthund aus Wien und kümmere mich hauptsächlich um Stadtmenschen mit Hund in Wien. Und wir haben beschlossen: Wir machen jetzt einmal pro Monat eine kleine Fragerunde, wo wir einfach Fragen der Community beantworten. Aber zuerst gibt es immer eine Kategorie – und du hast uns Hunde-News mitgebracht.
Tabitha
Ja, ich habe in den letzten Tagen gehört, dass es eine neue Studie zur Spielsucht bei Hunden gibt. Und jetzt habe ich mir diese Studie geschnappt – kann auch etwas nerdig sein. Ich habe mir tatsächlich die Originalstudie durchgelesen und war überrascht, wie viele Hunde als spielsüchtig eingestuft wurden. Das hat sich dann aber etwas relativiert, weil die Studienautor*innen sehr spielfreudige Hunde gesucht haben. Und von denen war ein Drittel tatsächlich spielsüchtig. Das heißt: Es wird sicher nicht jeder dritte Hund insgesamt betroffen sein, aber doch relativ viele Hunde zeigen Suchtanzeichen – vergleichbar mit menschlichem Suchtverhalten. Spannend finde ich, dass Hunde – neben uns Menschen – die einzige Art sind, bei der solche Verhaltenssüchte wissenschaftlich nachgewiesen wurden. Für mich total spannend. Es heißt für mich: Mit dem Hund spielen, ja – aber darauf achten, dass keine Abhängigkeit entsteht. Es wurde unter anderem beobachtet, ob der Hund gestresst reagiert, wenn der Mensch den Raum verlässt. Spielsüchtige Hunde reagieren darauf oft kaum, weil sie so fixiert auf das Spielzeug sind. Je länger sie das Spielzeug fokussiert haben – auch wenn es unerreichbar war – desto eher konnte man interpretieren, dass bereits Suchtverhalten vorliegt. Das war aber nicht der einzige Versuchsaufbau.
Erich
Sehr spannend! Welche Erkenntnisse gab es noch in der Studie – ganz blöd gefragt – vielleicht auch in Bezug auf körperliche Auswirkungen? Weil ich denke schon, dass Cortisol und Dauerstress viel mit dem Körper macht, wenn ein Hund dauerhaft so “unter Strom” steht.
Tabitha
Das stimmt. Leider wurde Cortisol in dieser Studie nicht untersucht – das war auch mein erster Gedanke, warum ich sie lesen wollte. Ich wollte wissen, ob auch das Stresshormon messbar erhöht war. Aber es wurden Parallelen zum menschlichen Suchtverhalten gezogen. Ein Kriterium fand ich besonders spannend: Der Hund (oder beim Menschen dasselbe) führt das Verhalten weiter aus, obwohl es negative Konsequenzen hat. Zum Beispiel: Mein Mensch entfernt sich, aber ich kann trotzdem nicht aufhören. Und generell war das einfach die erste wissenschaftliche Arbeit zu diesem Thema – man wusste, dass Hunde süchtig werden können, aber es gab bisher keine fundierte Studie dazu. Jetzt wurde erstmals belegt, dass Hunde süchtig werden können – mit ähnlichen Kriterien wie beim Menschen. Das braucht jetzt natürlich weitere Forschung.
Erich
Sehr schön, danke für diese News und die Erkenntnis zum Thema Sucht – dass Hunde uns da gar nicht so unähnlich sind. Wollen wir uns der ersten Frage widmen?
Tabitha
Ja, unbedingt – nur her damit. Was kam da?
Erich
Petra hat vorgeschlagen, dass wir uns jetzt schon mit dem Thema Silvester beschäftigen. Und das finde ich sehr, sehr gut. Überthema ist Geräuschangst – denn früher anfangen ist immer besser.
Tabitha
Da bin ich ganz deiner Meinung. Für geräuschempfindliche Hunde kann es auch jetzt schon knapp sein.
Erich
Genau, es kann schon knapp sein. Und deshalb würde ich zuerst gerne besprechen: Wenn es schon so weit ist und ich habe nicht trainiert – mein Hund hat Angst, Silvester steht vor der Tür – was sind dann Managementmaßnahmen?
Tabitha
Was mir immer einfällt – gerade in Gegenden, wo es nicht tagelang vorher knallt, eher ländlich – ist: Jetzt schon ein Flughafenhotel buchen. Die sind schallgedämpft, lassen zu Silvester Hunde zu, und am Flughafen selbst darf ja nicht geschossen werden. Wenn man nicht trainieren will oder Silvester “nur einmal im Jahr” ignorieren möchte, ist das tatsächlich eine Möglichkeit, dem komplett auszuweichen.
Erich
Ja, sehr gute Idee – Rückzug schaffen, dem Ganzen aus dem Weg gehen.
Tabitha
Oder mit dem Auto auf der Autobahn herumfahren – das machen auch einige.
Erich
Außer der Hund hat Angst vorm Auto.
Tabitha
Ja, stimmt. Sollte man erwähnen.
Erich
Hotel, Flughafen – und wenn das nicht geht, dann zu Hause bleiben. Wichtig finde ich: Hund nicht allein lassen. Zu Hause einen Rückzugsort schaffen, Vorhänge zu, Fenster und Rollläden schließen. Viele Hunde liegen gern im Flur, wo keine Fenster sind. Oder im Badezimmer. Oder im Keller...
Tabitha
Genau – aber nicht alleine in den Keller sperren, sondern gemeinsam hingehen! Das ist auch gleich der nächste Punkt:
Erich
...dass man den Hund sozial unterstützt – nicht sagt “Ich gehe feiern und schaue mir das Feuerwerk an” und der Hund sitzt allein und hat Panik.
Erich
Was ich auch wichtig finde: Die eigene Stimmung beobachten. Viele werden nervös, nicht weil draußen geknallt wird – sondern weil sie Angst um ihren Hund haben. Aber das weiß der Hund ja nicht. Der merkt nur: “Mein Mensch ist angespannt” → und das kann zusätzlich verunsichern.
Tabitha
Genau. Also versuchen, Ruhe auszustrahlen – nicht übertrieben fröhlich tun, aber einfach souverän bleiben. Das gibt dem Hund am meisten Sicherheit.
Erich
Und nochmal zum Thema Reizschwelle: Wenn der Hund einmal drüber ist, also wirklich Panik hat – Training ist in dem Moment nicht mehr möglich. Dann geht es nur noch um Abstand und Sicherheit. Deshalb lieber sehr klein anfangen.
Tabitha
Ja. Und was viele unterschätzen: Sobald der Hund im Fight-or-Flight-Modus ist, ist die Lernfähigkeit runtergefahren. Dann hilft kein Keks mehr. Deshalb vorher ansetzen – in ruhigen Momenten.
Erich
Was mir dazu noch einfällt: Entspannungstraining. Viele arbeiten mit einem Entspannungswort, aber das wirkt meist nur ganz kurz. Für Silvester empfehle ich eher: Einen spezifischen Ort oder eine Decke aufladen. Nur in ruhigen Momenten, mit Streicheln, Schlecken, Nähe, Ruhe. Diese Decke kommt später an den sicheren Ort.
Tabitha
Genau. Und wenn mal keine entspannte Situation möglich war, z. B. wegen Gewitter – dann muss man das danach viele Male wieder positiv aufladen, sonst verliert dieser Ort oder Duft seine Bedeutung. Man kann das auch mit Düften machen – aber wirklich extrem verdünnt. Ich nehme ein altes Haarband, gebe einen Tropfen sehr verdünnten Duft drauf und lege es nur in ruhigen Momenten hin. Sobald sich etwas verändert, kommt es wieder weg – in einen luftdichten Beutel.
Erich
Oder das Ganze mit einer speziellen Musik – manche nutzen zum Beispiel Relax-O-Pad. Wenn das vorher gut konditioniert ist, kann Musik später beim Alleinbleiben oder an Silvester helfen.
Tabitha
Ja, Musik oder konstante Hintergrundgeräusche – Hauptsache, es ist vorher mit Entspannung verknüpft, nicht erst unter Stress eingeführt.
Zusammenfassung (Erich)
Management: Hund nicht allein lassen, Rückzugsort schaffen (Flughafenhotel, Auto, Keller mit Mensch), Geräusche dämmen, Schlecken & Kaukram anbieten, bei Bedarf Tierarzt wegen Medikamenten.
Sicherheit draußen: rechtzeitig letzte Runde gehen, doppelt sichern, Lösen-Signal nutzen.
Training: Entweder bei null Angst → Geräusche lebenslang positiv besetzen.
Oder bei vorhandener Angst → Mini-Reize weit unter der Schwelle, füttern, langsam steigern. Alltagsgeräusche nutzen (Schlüssel, Dosen, Glascontainer), immer mit Belohnung koppeln, nicht wiederholen in Serie, sondern in Minischritten.Entspannung: Ort, Decke, Duft oder Musik nur in ruhigen Momenten positiv aufladen und konsequent schützen.
Eigene Haltung: Ruhe wirkt sicherer als Mitleid oder Nervosität.
Tabitha
Und nochmal ganz deutlich: Nicht zu schnell steigern. Wenn der Hund sich einmal erschreckt, geht ihr zehn Schritte zurück im Training. Kleinschrittig ist kein Zeichen von Schwäche – sondern von Professionalität. Geräuschangst ist eines der schwierigsten Themen überhaupt – das darf man ehrlich sagen.
Tabitha
Zum Abschluss habe ich noch einen Buchtipp, weil das Thema oft aufkommt: Wenn jemand über Kastration nachdenkt, empfehle ich das Buch von Sophie Strodtbeck:
„Sexualverhalten, Hormone, Kastration bei Hunden – Let’s talk about sex.“
Unbedingt das zweite Buch, nicht das erste! Da sind die neueren Forschungsergebnisse drin.
Erich
Super, danke – ich werde es lesen. Und von mir gibt’s etwas Musikalisches für unsere Playlist: Wir sind mitten in der Spooky Season – deshalb kommt „Season of the Witch“ von Lana Del Rey dazu.
Erich
Danke, Tabitha, dass du die neue Staffel mit mir startest. Danke an alle, die zuhören! Alle Links und Infos findet ihr in den Shownotes – da ist auch unsere Mail-Adresse. Schreibt uns eure Fragen – gerne über Instagram, Mail oder Website – damit wir vielleicht bald statt einer Folge zwei pro Monat machen können.
Ich schreibe außerdem gerade einen Blogartikel zum Thema Geräuschangst – wenn ihr den direkt zum Monatsende im Postfach haben wollt, tragt euch für den Newsletter bei Großstadthund ein.
Bis zum nächsten Mal – geht respektvoll miteinander um – egal ob mit Mensch oder Hund. Ciao!